Freiheit
April 1920. Lichtenrade ist noch ein Dorf vor den Toren Berlins.
Die Schrecken des Ersten Weltkrieges mit insgesamt mehr als neun Millionen toten Soldaten und allein 1,5 Millionen deutschen „Kriegskrüppel“, körperlich und seelisch versehrte Soldaten, sind erst seit 17 Monaten vorbei, die sich nach den Krieg anschließende Pandemie der Spanischen Grippe mit weltweit je nach Schätzung von 20 bis mehr als 100 Millionen Toten ist noch in lebendiger Erinnerung. Das Kaiserreich ist mit der Abdankung von Wilhelm II. untergegangen, im August 1919 wurde die erste demokratische Verfassung Deutschlands verkündet. Aber es sind weiter unruhige Zeiten. Erst im Monat zuvor, im März 1920, gab es im Rahmen des Kapp Putsches den ersten Versuch rechtsextremer Kräfte, die junge Weimarer Republik zu beseitigen. Wie wird es weitergehen?
Doch am Dienstag, den 20. April 1920, treffen sich nach einigen Vorüberlegungen und vielen Gesprächen u.a. Herr Buttgereit, Herr Kühn, Herr Braunfisch, Herr Braunfisch Junior und Herr Steinke und beschließen, dass es an der Zeit sei, für die schon seit einiger Zeit bestehenden christlichen Zusammenkünften in Lichtenrade, die neben den Veranstaltungen der Gemeinde der Dorfkirche stattfinden, sich eine Struktur, eine Organisationsform und auch einen Namen zu geben. „Christliche Gemeinschaft Lichtenrade“ wird die neue Gemeinde heißen. Inwieweit das seit 1906 in Lichtenrade bestehende Gemeinschaftsdiakonissenmutterhaus Salem-Lichtenrade unter ihrer charismatischen Leiterin Cäcilie Petersen beteiligt war, lässt sich aus den Gründungsunterlagen nicht entnehmen. Leider auch nicht, welche Frauen insgesamt dabei waren und dazugehörten. Es gab sie auf jeden Fall. Auch gab es schon eine bestehende Sonntagschule, also eine Veranstaltung für Kinder am Sonntag zum Zweck der Glaubensvermittlung.
Welche Atmosphäre, welcher Geist sollte in der neuen Gemeinschaft herrschen? Was war unseren damaligen christlichen Geschwistern wichtig? Wurden austarierte Glaubensbekenntnisse formuliert, um sich von anderen christlichen Strömungen abzugrenzen? Ab jetzt wird hier richtig geglaubt, in anderen Religionsgemeinschaften kann nur der Irrtum herrschen. Nein! Ganz im Gegenteil. In der „Christlichen Gemeinschaft Lichtenrade“ sollte eine Atmosphäre der Freiheit herrschen, die vom Geist Christi geprägt ist!
Gleich nach der Festlegung des Namens wurde in unserer Gründungsurkunde unter Ziff. 2 der folgende prägende Grundsatz formuliert:
„Wir waren uns einig, dass in unserer Gemeinschaft größte Freiheit herrschen sollte, soweit diese Freiheit nicht gegen den Geist Christi verstößt.“
Eine von Jesus geprägte Freiheit! Keine ängstlichen Grenzen, keine Verzagtheit, keine Angst vor Vielfältigkeit, keine Angst vor dem Unbekannten, keine Weltuntergangsstimmung.
„Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt eine der bekanntesten Schriften von Martin Luther, die 1520 in Wittenberg veröffentlicht wurde. Haben unsere Glaubensgeschwister damals im April 1920 auch daran gedacht? Martin Luther fand in dieser Veröffentlichung eine zunächst paradox wirkende Formulierung über die Freiheit der Christen. Sie lautet: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Das Evangelium, die Frohe Botschaft, die Gute Nachricht, die von Jesus in den Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes bezeugt wird, „macht den Menschen frei von allen Gesetzen, Werken und irdischen Autoritäten in der Sorge um seine Seligkeit, es macht ihn frei zum Dienst am Nächsten, frei zur Liebe um ihrer selbst willen, ohne dass sie Mittel zu einem anderen Zweck wird.“
Die herrschende Freiheit wird auch in dem weiteren und zugleich letzten Gründungsgrundsatz deutlich, in dem festgestellt wird, dass das Sakrament des Abendmahls in großer Selbstverständlichkeit gefeiert werden soll, da die neue Gemeinschaft auf biblischer Grundlage bestehen würde.
So wie vor über 100 Jahren trotz turbulenter Zeiten schon eine Atmosphäre der Freiheit herrschte, so soll auch heute durch die Zeiten hindurch in unserer Gemeinde Freiheit möglich und spürbar sein.
Eine von Christi Geist geprägte Freiheit, in der die Liebe zu Gott und zum Mitmenschen sichtbar ist und gelebt wird!
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